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Wenn das Baby Brust und Flasche verweigert

Wenn das Baby schrie, »bohrte sich das Brüllen in mich rein«, erzählt die Mutter. Der Protest von Fabian fühlte sich an »wie ein körperlicher Schmerz«. Elena H. hatte immer das Gefühl, »alles falsch zu machen«, weil sich ihr Kind nicht füttern ließ. Von Anfang an verweigerte Fabian die Brust, drehte den Kopf weg und brüllte ausdauernd und lang, wenn er trinken sollte. Bald lagen die Nerven der Mutter blank und die Sorge wuchs, das Baby nicht versorgt zu bekommen: »Mein Kind dehydriert, mein Kind verhungert!« Schon morgens spürte Elena H. »wie die Angst über mich kam«. Sie wachte auf, dachte an ihr Kind und begann, schnell und stark zu atmen, so als ob sie keine Luft mehr bekäme. 

Als die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Christin Matthes zum ersten Mal zu den Eltern von Fabian kam, erwartete sie ein abgemagertes und unterernährtes Kind anzutreffen, so besorgt hatte die Mutter am Telefon geklungen. Als sie Fabian dann sah, war sie »sehr erleichtert«. Das Baby war »dünn, aber gut genährt, aufmerksam und freundlich«. Es begann eine Zeit des Experimentierens. Die Mutter hatte es bereits mit einem Stillhütchen probiert, weil manche Kinder die Brustwarze nicht richtig zu fassen bekommen oder sie nicht halten können. Anderen Kinder fällt es schwer, richtig und ausdauernd zu trinken. Aber Fabian hatte die Brust grundsätzlich verweigert, weshalb die Mutter schon früh zur Flasche gewechselt war. Auch das Abpumpen der Milch und die Flasche machten das Füttern jedoch nicht einfacher, denn auch hier schrie er immer häufiger, als zu trinken. 

Elena H. bekam immer stärker das Gefühl, ihr Kind »nicht versorgen zu können«. Immer wieder litt sie unter Panikattacken und Fabian bekam im Zusammenhang mit dem vielen Stress eine entzündliche Hauterkrankung (Neurodermitis). Die Eltern probierten verschiedene Milchsorten aus, doch nichts half – erschöpft und im Halbschlaf trank Fabian schließlich seine Flasche, nachdem er sich zuvor bis zu anderthalb Stunden »die Seele aus dem Leib geschrien« hatte.

Einige Wochen später fanden sie heraus, wie ihr Kind auf einem Gymnastikball wippend ohne langes Geschrei in den Schlaf zu wiegen war und konnten ihm auf diese Weise die Flasche geben. 

Schon die Geburt war traumatisch verlaufen: Ein endloser Akt von 44 Stunden Wehen und Pressen, sodass Elena H. schließlich um einen Kaiserschnitt »bettelte«. Doch die Hebammen und Ärzt*innen entschieden anders. Nach zweieinhalb Stunden holten sie das Kind schließlich mit einer Saugglocke. Zwischen den Wehen war die Mutter schon nicht mehr bei Bewusstsein gewesen. »Das Kind war auf die Welt gezwungen worden«, schätzt die Psychotherapeutin Matthes die schwierige Geburt ein. Für Kind und Mutter war die Geburt eine große Strapaze und so erschreckend wie erschütternd gewesen. Das Erlebnis überforderte Elena H. so sehr, dass sie es danach »immer wieder durchlebte«. Der Psychotherapeutin fiel auf, dass die Mutter die Ereignisse trotz der Dramatik »sehr nüchtern« schilderte, als würde sie »Bericht erstatten«. Die Emotionen fanden keinen Ausdruck. 

Christin Matthes fragte weiter nach und erkundete sich nach den eigenen Erfahrungen der Mutter mit Kindheit und Eltern. Zwar schrie Fabian häufig und lang, wenn er nicht trinken wollte, das war nicht zu übersehen und zu überhören. Aber viele Babys haben Schwierigkeiten zu trinken oder zu schlafen, ohne dass die Eltern überhaupt etwas falsch machen. Doch diese Mutter bestürzten die Schwierigkeiten ihres Kindes zutiefst. Sie hatte eine »riesengroße Angst«, weil sie nicht wusste, »wie sie der Situation Herr werden sollte«. Mit der Psychotherapie verstand Elena H. besser, in welchen eigenen Erfahrungen sie gefangen war. Ihr Vater mischte sich nicht ein und die Mutter war sehr abwertend und erniedrigend gewesen. Außerdem musste die Tochter die Mutter bei ihren Wutanfällen beruhigen und sehr früh Verantwortung übernehmen. »Deshalb war es mir immer sehr wichtig gewesen, mein Leben unter Kontrolle zu haben«, schildert Elena H. ihre eigenen biografischen Erfahrungen. Dass sie jetzt ihr Kind nicht füttern konnte, erlebte sie als einen »Kontrollverlust, der mir den Boden unter den Füßen wegriss«.

»Geburten haben für alle Beteiligten etwas Explosives«, erklärt Psychotherapeutin Christin Matthes. »Sie sind ein Erlebnis, das fast alle Eltern aufwühlt und eigene Kindheitserfahrungen wieder aufleben lässt.« Elena H. beschreibt, wie gut es tat, in den psychotherapeutischen Gesprächen festzustellen, »wie viel ich schon geschafft hatte«. Die Psychotherapeutin setzte der Angst, die in Panikattacken eskalierte, »sehr positive Gespräche entgegen«, in denen die Mutter wieder entdecken konnte, dass sie keineswegs so hilflos war, wie sie glaubte. 

Eine wichtige Etappe war geschafft, als Fabian mit vier Monaten begann, Brei zu essen. »Der Kleine saß aufrecht und war aktiv beim Essen dabei«, berichtet Christin Matthes. »Er sah gut aus und machte den Eindruck, dass er bekommt, was er braucht.« Auch die Eltern bekamen das Gefühl: »Wir können das!« Das ermöglichte, schrittweise weitere »Übergänge zu schaffen« und Fabian zum Beispiel an das Schlafen im eigenen Bett zu gewöhnen. Die Eltern überlegten: Wie ließ sich das Wippen in den Schlaf auf dem Gymnastikball durch ein anderes Ritual an seinem Bett ersetzen? Was schuf auch die notwendige Nähe und den Kontakt, die Fabian beruhigten? Sie gewannen auch mehr Spielraum für Fragen wie: Was hat Fabian, wenn er nachts aufschreckt? Ist er tatsächlich hungrig oder hat er nur schlecht geträumt oder sind es inzwischen schon die ersten Zähne? »Es gibt so viel zu lesen, was Eltern tun und lassen sollen«, erläutert die Psychotherapeutin. »Das sei auch gut, um Anregungen zu sammeln. Aber letztlich komme es darauf an, dass die Eltern eine Lösung finden, die zu ihnen passt.«

Durch die Therapie erlebte sich Elena H. »aufgefangen«. Durch die Unterstützung bekam sie das Gefühl, nicht mehr allein mit den Problemen dazustehen. Die Psychotherapeutin Christin Matthes war sechs Wochen lang zweimal in der Woche zur Familie nach Hause gekommen. Fabian bekommt inzwischen zweimal am Tag den Brei, den er gut isst, aber auch noch dreimal am Tag die Flasche, die er weiterhin nur im Halbschlaf annimmt. Elena H. kann sich aber sagen: »Auch die letzten Schwierigkeiten werden vorübergehen. Fabian wird sich entwickeln und irgendwann keine Flasche mehr benötigen.«

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